Eine Lobby verrät ihre Klientel
Graffiti in Köln http://www.flickr.com/photos/15667997@N08/4996626278/ |
Der Krieg gegen Drogen...
... ist auch in Deutschland immer noch ein Krieg gegen die
Abhängigen. Deren Leben bleibt geprägt von Kriminalisierung, Inhaftierung, Obdachlosigkeit,
Psychiatrisierung, sozialer und körperlicher Verelendung, Vertreibung, Platzverboten und Festnahmen. Von den ca. 64.000 Häftlingen in deutschen Jugendgefängnissen sitzen etwa die
Hälfte im Zusammenhang mit Drogen.
In
Deutschland leben über 150.000 Heroin-Abhängige, in der EU plus Norwegen sind es
ca. 1,5 Millionen – etwa ¼ % der Bevölkerung, von
denen bis zu 20.000 jährlich in der EU-Statistik der Drogentoten auftauchen.
Neben der Repressionsmaschinerie hat sich ein kaum
weniger aufgeblähter Hilfskomplex entwickelt, für den die deutschen Sozial- und
Rentenversicherungsträger jährlich etwa 10 Milliarden Euro zahlen. Mittlerweile werden etwa 75.000 Abhängige meist
mit Methadon substituiert und seit Jahren „niedrigschwellige“ Angebote wie
Fixerstuben, Spritzentausch, Cafés und Notschlafstellen ausgebaut. Doch der
Grundsatz „Abstinenz oder Strafe“ wurde nie wirklich aufgegeben.
Präventiv-medizinische Ziele, Überlebenssicherung und sozialpolitische
Schadensminimierung haben es weiter schwer sich durchzusetzen.
Abstinenz oder „beigebrauchsfreie“ Substitution als einzige Behandlungsalternativen
Auch
wenn Heroinsucht längst als Krankheit anerkannt ist, finden sich Abhängige in
der Behandlungspraxis immer noch mehr in der Rolle des zu bestrafenden
Kriminellen als der des Patienten wieder. Eine Studie mit dem Titel
"Einstellungen und Vorurteile substituierender Ärzte" dokumentiert
ein erschreckend "breites Spektrum negativer Einstellungen und Defizite in
großen Teilen der substituierenden Ärzteschaft". Mangelhaftes Wissen über
die Substanzwirkungen, strikte Durchsetzung oft willkürlicher Regeln und häufig
lebensgefährliche Behandlungsabbrüche als Sanktion für Heroin-Rückfälle oder
sonstigen „Beigebrauch“ gehören zum Alltag solcher ‚Drogenbewirtschaftung’.
Straßenheroin bleibt das Problem auch in der
Substitution, die daher geprägt ist durch ein regelrechtes Wettrüsten beim Nehmen
und Fälschen von Urinproben.
Nicht
weniger repressiv sind die (Teil-)Entgiftungsstationen in den geschlossenen
Psychiatrien und die Drogentherapien, die bei 90 % Ihrer Klientel als
Hafterleichterung fungieren, und schon deshalb als Teil des Justiz- und
Vollzugsapparats bezeichnet werden müssen. Dass selbst der Strafvollzug nicht
drogenfrei ist, dokumentieren Untersuchungen, nach denen über 50 %, in
einzelnen Gefängnissen bis zu 95 % der Insassen harte Drogen konsumieren.
Tausenden Patienten wird die medikamentöse Alternative zur Todesdroge Straßenheroin (hier nachgestellt) bisher verweigert – mit katastrophalen Folgen |
Die drogenpolitische Revolution von 2009
Doch es hat sich – bisher weitgehend unbeachtet
– eine kleine drogenpolitische Revolution in Deutschland ereignet: 2009 wurde – auf
maßgeblichen Druck der Grünen aber auch Teilen der SPD, der FDP und der Linken –
das Gesetz zur diamorphingestützten Behandlung ("Heroinvergabe")
verabschiedet. 2010 wurde Diamorphin in den Leistungskatalog der Kassen
aufgenommen, aber Verschreibungsfähigkeit ohne aufwendige Vergabestellen wie in
England ist bisher am Widerstand der SPD gescheitert.
Jahrelange
Studien in sieben deutschen Großstädten hatten beeindruckend die Vorteile des
Diamorphins gegenüber Methadon nachgewiesen. Der Gesundheitszustand der Probanden
verbesserte sich deutlich, Konsum von Straßenheroin und Beschaffungskriminalität gingen auf fast Null zurück, sogar die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatte sich mehr als verdoppelt. Fast
schon euphorisch liest sich im Beschluss des Bundesgesundheitsministeriums vom
Mai 2009, den Kosten einer Heroinbehandlung stünden pro Patient jährliche "Einsparungen in Höhe von 10.000 Euro" gegenüber.
Auch in der Politik hatte sich die Überzeugung
der Suchtmedizin verbreitet, dass nicht jeder Schwerstabhängige geheilt, also
abstinent werden kann. Bei Menschen, die
seit vielen Jahren abhängig sind und Dutzende Entzugs- und
Substitutionsversuche hinter sich haben, soll Schadensbegrenzung im Mittelpunkt
der Behandlung stehen.
Die Tür zur
Originalstoffvergabe war aufgestoßen, und damit das Ziel näher, die gesundheitlichen
und sozialen Probleme infolge von Straßenheroin, zu reduzieren. Fast alle damit
befassten Berufs- und Sozialverbände,
Bundesärztekammer, sogar Polizeipräsidenten begrüßten die Originalstoffvergabe.
Doch was wurde aus dieser Chance bisher gemacht? Die sieben Vergabestellen mit ihren kaum
500 Patienten blieben zwar in Betrieb, doch in keiner der übrigen 73 deutschen
Großstädte, geschweige in kleineren Kommunen, wurde bisher auch nur eine einzige Vergabestelle
eingerichtet!
Hochsicherheitstrakte für ein Medikament
Nicht
zu unrecht wird die hohe Anschubfinanzierung von etwa 300.000 Euro für eine kostendeckende Vergabestelle skandalisiert. Denn nach den strengen, vom zuständigen LKA zu
überwachenden Vorschriften müssen die Räumlichkeiten über höchste Standards,
über Videoüberwachung, Sicherheitsglas, Tresore, Alarmanlagen und einen
Sicherheitsring verfügen. Die Frage drängt sich auf, warum im Gegensatz zu Altersheimen,
Krankenhäusern und einigen Arztpraxen, wo ebenso hochpotente Betäubungsmittel
gelagert werden, ein solcher, die Kommunen belastender Aufwand nötig sein soll.
Ein
weiterer Skandal ist, dass der Apparat sogenannter Drogenhilfen – über
Jahrzehnte gewachsen um die Folgeschäden des Straßenheroins zu mindern –
sich in Zeiten massiver Kürzungen ganz mit sich selbst zu beschäftigen scheint, und drogenpolitischen Fortschritt nicht
als Verpflichtung, sondern als Besitzstandsgefährdung begreift. Während die Drogenhilfen sich weiter auf die
Psychotherapeutisierung der Abhängigen konzentrieren, bestreiten sie auf
kommunaler Ebene sogar nicht selten kaltschneuzig den Bedarf an Heroinvergabe
oder stehen ihr gleichgültig bis hilflos gegenüber. So führen sie den eigenen
Anspruch ad absurdum: Die
meisten Abhängigen seien schließlich mit der bisherigen Substitution "gut
versorgt". Das ist nicht nur auf Grund der Studien und Modellprojekte sehr zu bezweifeln. Die
Anschubfinanzierung sei nicht aufzubringen:
Solche Ausreden hören Kommunalpolitiker nicht ungern, erst recht, wenn sie von
scheinbar unverdächtiger Seite kommen, und die unbestrittenen, immensen
Einsparungen, die eine solche Vergabestelle mit sich brächte, nicht unbedingt
und nicht direkt das eigene Budget stärken.
Und da
die Abhängigen selbst sowieso niemand fragt, verlaufen alle Planungen für die
Eröffnung von Diamorphin-Vergabestellen in deutschen Städten bisher im Nichts.
Initiative von YES-Vision e.V. |
Fürchten Besitzstandswahrer in den Drogenhilfen sinkenden Behandlungsbedarf?
Die oft
unfreiwillige psychosoziale Betreuung von Substituierten, die ständigen,
drehtürmäßigen Einweisungen in Akut-Stationäre-Behandlungen, die unzähligen
Therapie- und Substitutionsabbrüche und Inhaftierungen, das gesamte, längst
unüberschaubare Diagnose- und Methodenarsenal, die Labortechnik und
Pippi-Überwachungsindustrie, all diese und andere Maßnahmen zur Folgebehandlung
und Sanktionierung des Konsums von Straßenheroin – All das ist
nicht zu teuer? Aber die
Anschubfinanzierung für eine kostendeckende Diamorphin-Vergabestelle, die soll
angeblich den finanziellen Rahmen sprengen –
Die wirkliche Kostenfalle liegt in der Nicht-Umsetzung des Gesetzes
Wie absurd diese Behauptung ist, beweisen nicht
nur die eindeutigen volkswirtschaftlichen Berechnungen sondern auch die
bestehenden Ambulanzen. Es gibt Sponsoren, man kann Vergabestellen in
bestehende Einrichtungen integrieren wie in Köln, an Krankenhäuser angliedern,
oder den Betrieb sogar der Arbeiterwohlfahrt überlassen wie in Karlsruhe. Woran
es im kommunalen Bereich wirklich mangelt, sind politischer Wille und
volkswirtschaftlicher Sachverstand, der gebietet die Doppelt- und
Dreifachbehandlung von Schwerstabhängigen einzuschränken. Alle Kostenträger einschließlich
der kommunalen Dienstleister haben es bisher versäumt, im Interesse der
Patienten wie der Beitrags- und Steuerzahler die erforderlichen Mittel umzuschichten.
Der tatsächliche Schaden für die öffentlichen Kassen liegt in der
Nichtumsetzung des Gesetzes.
Um den Preis des Verrats am verfassungsmäßigen
Willensbildungsprozess und an 40 Jahren medizinischer, politischer,
wissenschaftlicher und drogentherapeutischer Arbeit wird ein historischer
sozialpolitischer Meilenstein aufs Spiel gesetzt.
Lasst die Ärzte endlich ihren Job machen
Anstatt die Ärzte ihren gesetzlich
vorbeschriebenen Job machen zu lassen, betreiben die Kommunen die Beibehaltung
des grauenhaften status quo der Drogenszenen und verelendeten
"Junkies". Aber nicht nur die enormen Einsparungen werden dringend
benötigt. Dem unwürdigen, kleinkriminellen und verwahrlosten Milieu in unseren Städten
muss endlich die ihm zustehende moderne Medikation und Chance zur Reintegration
gegeben werden.
Diamorphin für alle, die es brauchen |
Unzählige
Schwerstabhängige in Deutschland warten verzweifelt auf die Umsetzung des
Gesetzes. Einschlägige Internetforen quellen über von Leidensgeschichten über
verstorbene Abhängige, wütende oder trauernde Angehörige. Menschen, denen
gesetzlich seit Jahren qualifizierte medizinische Hilfe zusteht, wird diese
bisher fast bundesweit verweigert. Vielleicht kann der Kassen-Ausschuss, der
gegenwärtig die Richtlinien zur Heroinvergabe überarbeitet, dahingehend Einfluss
nehmen, dass die Kommunen beim Aufbau von Vergabestellen logistische
Unterstützung erhalten.
Polizeiliche Verfolgung ersetzt keine Drogenpolitik
Polizei
und Justiz betreiben immer noch enormen Aufwand, um Schwerstabhängige wegen
geringster Konsumeinheiten zu verfolgen. Die Kommunen wenden seit Jahren viel
Zeit, Geld und Personal auf, um einen Reparatur- und Kontrollbetrieb rund um
die Drogenszenen aufrecht zu erhalten. Da wird es mit den Gesetzen nicht
immer so genau genommen. Doch mit immer mehr Schwarzen Sheriffs, illegaler
Videoüberwachung, Razzien, einer "Schimanskisierung
polizeilicher Verfolgung" (Wolfgang Schneider) und zweifelhaften Entziehungen von Grundrechten
werden gewiss keine drogenpolitischen Fortschritte erzielt. Bedeutende sozialpolitische
Gesetzgebung darf nicht an mangelndem lokalen drogen- und rechtspolitischem Sachverstand
scheitern.
korrekt
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